Eine einzelne Haarsträhne – sie kann das Kinn weich umspielen, kann störrisch ins Auge fallen, sich auf der Stirn kräuseln oder geschmeidig entlang des Nackens kringeln. Aufmerksam wird man auf sie, weil sie sich von dem Haarzusammenhang löst, sie erscheint durch einen Wirbel oder einen leichten Windstoß und weist durch ihre chaotische Vereinzelung auf die Lebendigkeit auch einer strengen Frisur und dabei auf die körpereigene Kraft. Genau diese spielerisch einzelne Haarsträhne kann in einem bewussten Akt mit einer einzigen entschiedenen und konsequenten Bewegung abgeschnitten werden.
Nicht erst seit den Möglichkeiten der kriminalistischen Haaranalyse steht diese Strähne als pars pro toto für den ganzen Menschen, hingegeben ist sie seit Jahrhunderten Liebesbeweis und Zeichen der Bereitschaft, sich einem anderen Menschen auszuliefern. Schon die Griechen und Germanen sagten dem Haar magische Wirkung nach und nahmen an, dass darin das Leben, die Seele sitzt, abgeschnitten gerät man in die Gewalt desjenigen, der in Besitz des Haares gekommen ist. Damit kann abgeschnittenes Haar zum Zeichen von Machtverhältnissen werden, die sich nicht mit dem Nachwachsen von durchschnittlich 0,4 mm pro Tag ändern.
Geschwungene, gebogene, glatte, blonde, rötliche, braune Haarsträhnen sind das künstlerische Material von Katrin Magens. Jede einzelne wurde für sie persönlich abgeschnitten, hingegeben und geschenkt von zwölf Jugendlichen. Auf die scharfen Schnittkanten reagiert Katrin Magens mit einer so zarten Bleistiftlinie, dass der Übergang von Haar in haarkleine, organische Weiterzeichnung von fern kaum auszumachen ist. Die unterschiedlichen Formen der einzelnen Strähnen werden so differenziert weitergeführt, dass sie wie individuelle Urwurzeln wirken, aus denen neue Kraft zu sprießen scheint. Die Strähnen sind unter eine Glasscheibe gepresst und erinnern darin an Haarreliquien, die man in Wallfahrtskirchen findet und deren Ursprünge in der Trauer um Verstorbene liegen.
Katrin Magens präsentiert ihre Haar – Zeichnungen weithin sichtbar auf Halterungen, die Notenpulten ähnlich sind, als ob die phantastischen Notenschlüssel ihrer Spieler – uns Betrachter – harren.
Durch diese Gruppe der Individuen werden wir zu drei monolithischen an der Wand stehenden Sockeln geleitet. Erst wenn wir uns direkt über die Oberfläche beugen sehen wir in die Kuben versenkte Objekte und Materialien. Zum einen wiederum Haar, doch hier ist es ein voluminöses Knäuel von lieblos aufgehäuften Resten, von professionell abgeschnittenem, weggeworfenem, anonymem Materials aus dem Friseursalon. Die Künstlerin hat lediglich aufgehoben, was als abfällig erachtet wurde. Der Glanz des abgeschnittenen Haares ist mit der Zeit verstumpft, nachgedunkelt passen sich die unterschiedlichen Farben einander an und erscheinen als indifferente, tote Masse.
Dieser verknoteten Unordnung entgegengesetzt ist eine Abfolge von zwölf identischen, in Reih und Glied hintereinander gelegten Metallkämmen. Die groben Zacken und die dünnen Griffe reflektieren kalt das uns umgebende Licht.
Der erste Kubus schließlich eröffnet uns den Ausgangspunkt der Installation: ein aufgeschlagenes, bereits verblichenes Buch. Katrin Magens hatte es auf einem Speicher des Oldesloer Heimatmuseums entdeckt in einem Schrank, der in seiner Ansammlung von verschiedenen Schachteln, Köpfen, Gläschen, Scheren und Kämmen an ein gemaltes Kunstkammerregal aus dem 17. Jahrhundert erinnern mag. Parallel zu deren Zusammenstellungen von Vanitas – Symbolen erzählt auch das nur wenig über das 60 Jahre alte Buch von einer Geschichte, die eitel und vergeblich scheint: „Der Friseur“, ein Hand – und Nachschlagebuch für Damen – und Herrenfriseure von 1938 gibt Einblicke in die Anordnungen zu einer Profession, deren Eigenart nach eigenen Angaben darin liegt, dass „die handwerkliche Tätigkeit am lebenden Modell, am Menschen selbst, erfolgt“ und die auf die „nutzbarste Verwertung des Jugendlichen im Dienst des ganzen Volkes“ zielt. Unschuldig weiße Überklebungen zeigen den Versuch, es säuberlich zu entnazifizieren.
Dr. Annabelle Görgen
Katalogtext:
„Der eigene Blick“, Stormarner Museen, eine Ausstellung der Kulturstiftung der Sparkasse Stormarn, Marstall Ahrensburg 2001
Magische Worte lesbare Schriften
1.-8. Magische Worte lesbare Schrift
Bild 1 + 2: Fotos Anja Beutler, Ausstellung Künstlerhaus Sootbörn
Jahr: 2001
Technik: Installation
Maße: variabel